Wer war Dr. Levy?

Orte der Erinnerung. Station 1. Veringstrasse 20.

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Wer war Dr. Levy?
Realisation: Sarah Gorf-Roloff

Schulklasse der wissenschaftlichen Oberschule in Wilhelmsburg. Rotenhäuser Strasse, 1928. Hans Levy sitzt in der vordersten Reihe, 2. von links. Das Bild ist von seiner ehemaligen Klassenkameradin Liselotte Lange.

Ein Stolpersteinrundgang.
Impuls zu neuen Informationen.

Erste Spuren 1993.

Diese wenigen Erinnerungen waren bisher immer Teil unserer regelmäßigen Stolpersteinrundgänge als ein Beispiel von „erzwungener“ Auswanderung jüdischer Bewohner*innen. Viel mehr als diese Informationen aus alten Interviews hatten wir leider nicht. Nach einem Rundgang im Jahr 2024 meldete sich Corinna Popp, eine Bewohnerin aus dem ehemaligen Wohnhaus in der Veringstraße 20 bei uns, ob man nicht ein Erinnerungsschild an der Fassade zu der Geschichte der Levy’s befestigen könne.

Zur selben Zeit beschäftigten wir uns mit dem Thema Zwangsarbeit und ob es nicht sinnvoll wäre, einen weiteren Erinnerungsort für die vielen Zwangsarbeiter*innen im Stadtteil zu schaffen. Bereits hier entwickelte sich, in Zusammenarbeit mit Sarah Gorf-Roloff, die Idee eines multimedialen Erinnerungsrundganges zu Orten von Verfolgung, Zwangsarbeit und Wiederstand. Die Geschichte von Dr. Levy würde diesen Rundgang gut ergänzen. Das Projekt „Orte der Erinnerung“ nahm Form an.

Eines der großen Probleme war und ist dabei, wie erzählen wir Geschichte von Menschen oder Orten, von denen wir kaum oder kein Bildmaterial haben, sondern nur ein paar Erzählungen und Akten. Sarah Gorf-Roloff’s Projekt „Bewegte Geschichte“, das neue Wege der visuellen Darstellung von Geschichte erforscht, hilft uns dabei, diese erlebbar zu machen.

Dr. Arthur Leeds. Ein Zufallsfund im Staatsarchiv.

Bei einer abendlichen Recherche im Staatsarchiv schaute ich mir aus Neugierde ein paar Wiedergutmachungsakten an. In diesen Akten dokumentieren die Abwicklung der Wiedergutmachungen für Opfer nationalsozialistischer Verfolgung.

Irgendwie stolperte ich über den Namen Arthur Leeds. Nachdem ich auf die Informationen zu der Akte öffnete, tauchte er auf: Leeds, Arthur, Dr. (fr. Levy, Arthur, Dr.)

Wir fanden nicht nur seine Wiedergutmachungsakten. Auch die seiner Frau Else Leeds, geb. Damman und die seiner drei Söhne Hans, Kurt und Ernst und somit einen wichtigen Teil ihrer Geschichte. Die Levy’s änderten, wie viele jüdische Einwanderer*innen nach der Emigration in die USA freiwillig ihre Namen. Nicht nur um Antisemitismus und Diskriminierung zu umgehen oder die Assimilation zu erleichtern, sondern auch aus geschäftlichen Gründen. Stigmatisation sollte vermieden werden.

Als die Geschichtswerkstatt 1993 für das Projekt „Zerbrochene Zeit - Wilhelmsburg in den Jahren 1923 bis 1947“ Menschen aus dem Stadtteil dazu befragte, tauchte der Name Dr. Levy wieder auf. Wilhelm Hövermann schrieb damals die Namen der jüdischen Nachbarn, an die er sich erinnern konnte, auf einen Zettel und erzählte:

„Solange ich denken kann, war Dr. Arthur Levy hier praktischer Arzt, ein angesehener Mann, er hatte viele Patienten. Er wohnte in der Veringstraße, direkt gegenüber vom Stübenplatz. Das Haus steht heute noch. Unten waren Praxisräume, in der ersten Etage wohnte die Familie. Dr. Levy hatte eine sehr nette und sehr hübsche Jüdin zur Frau und sie hatten drei Söhne, Hans, Kurt und den Jüngsten, den nannten wir „Baby“.“

Hans Levy’s Klassenkameradin Lene - Lotte Lange erinnerte sich daran, das die Scheiben der Praxis in der Veringstraße bereits 1933 mehrmals eingeschlagen wurden und Dr. Arthur Levy diese daraufhin aufgab. Er praktizierte danach noch einige Zeitlang auf der Veddel, die ihr Vater bis zuletzt als Patient aufsuchte. Irgendwann fand ihr Vater die Praxis verschlossen. Sie konnte aber mit Sicherheit sagen, daß die Söhne noch rechtzeitig ins Ausland gekommen sind.

Verfolgung

wischen 1941 und 1945 wurden annähernd 10.000 Hamburger Jüdinnen und Juden deportiert und ermordet.

Die Verfolgung begann aber viel früher. Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 begann das grausamste Kapitel deutscher Geschichte. Zu einschüchternden Gewaltaktionen kamen „legale“ antijüdische Maßnahmen. Es gab fast 2.000 antijüdische Gesetze oder Verordnungen, die während der NS-Zeit erlassen wurden. Die Judenverfolgung basierte in Hamburg wie auch anderorts im Reich auf Reichsgesetzen. Sie schränkten Jüdinnen und Juden in ihren privaten und und beruflichen Lebensbereichen immer mehr ein.

1933 lebten in Hamburg knapp 17.000 Jüdinnen und Juden. In der preußischen Stadt Harburg-Wilhelmsburg, die damals noch nicht zu Hamburg gehörte waren es um die 300. Unter ihnen auch die Familie von Arthur Levy, geb. am 07.05.1879 in Samotschin, Polen (heute Szamocin). Die Stadt lag in der preußischen Provinz Posen, die zu dieser Zeit noch zum Deutschen Reich gehörte. Wann und wie er genau nach Wilhelmsburg gekommen ist, können wir nicht sagen. In seinen Akten wird aber berichtet, das er bereits 1903 eine Zulassung als Arzt und ab 1905 eine Praxisniederlassung als Kassenarzt in Hamburg- Wilhelmsburg, Veringstraße 20 bekommen hat. Am 03.04.1910 heiratete er Else Dammann, die in seiner Praxis mitarbeitete. Seine drei Kinder Hans, Kurt und Ernst werden hier geboren und gehen in Wilhelmsburg zur Schule.

Dr. Arthur Levy hatte als Arzt in Wilhelmsburg viele seiner Patienten in den Zeiten der wirtschaftlichen Not und der großen Arbeitslosigkeit der späten 1920er Jahre unentgeltlich behandelt. Als SPD-Mitglied engagierte er sich im Gemeinderat und in der Arbeitslosenselbsthilfe in der Georg-Wilhelm-Straße, außerdem war er Schularzt in der ‚Freien weltlichen Schule‘ am Rotenhäuser Damm. Bereits 1909 gehörte er zu den ersten Bewohnern der Gemeinde, die im Besitz eines Automobils waren. „Ein Wagen zu Berufszwecken“, so wird die Art des Fahrzeugs im Deutschen Automobil - Adreßbuch von 1909 bezeichnet. Als praktischer Arzt und Geburtshelfer sicherlich ein wichtiges Fortbewegungsmittel. Im Ersten Weltkrieg kämpfte er, wie so viele Juden, als Soldat für das Deutsche Kaiserreich. Nachdem Kriegsende nahm er seine Arbeit in der Praxis in der Veringstraße 20 wieder auf.